Zur Person: |
Anfang der 50er Jahre erweckten die Störungen des Bewe- gungssystems sein besonderes Interesse. Ausgehend von den nicht sehr befriedigenden Ergebnissen von Diagnostik und Therapie in der
herkömmlichen konservativen Ortho- pädie und in der Rheumatologie kam es zu einer verstärkten Suche nach den funktionellen Ursachen von mannigfaltigen Beschwerden und Behinderungen im
Bewegungssystem. Ein Fallbeispiel aus dieser Zeit ist eine Patientin bei deren lumbaler Bandscheibenoperation Dr. Brügger als Assistent mitwirkte. Nach der operativen Freilegung der bedrängten Nervenwurzel kam
es zu einer vollständigen Rückbildung der radikulären Symptomatik, bis auf die Schmerzen. Eine riesige Zahl von Einzeluntersuchungen an Gesunden und Kranken deckte die funktions- gebundene Schmerzhaftigkeit und Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur und deren Abhän- gigkeit von der Haltung des Körperstammes und der Stellung der Extremitäten auf. Diese reflektorische Schmerzhaftigkeit bezeichnete Dr. Brügger als Tendomyose und wurde von ihm eigens geschaffen, um einen reflektorisch veränderten Spannungszustand der Muskulatur sprachlich fassbar zu machen. Diese zum Schutz vor drohender oder fortschreitender Schädigung des Organismus reflek- torisch veränderte Muskulatur wird vom zentralen Nervenssystem ausgelöst und von Dr. Brügger als
nozizeptiver somatomotorischer Blockierungseffekt ("NSB" 1957) beschrie- ben. Dieses subkortikal (supraspinal) arbeitende System organisiert Modifikationen der Muskelfunktionen
(Tendomyosen 1955) und ruft somit veränderte, teilweise auch schmerz- hafte, Haltungs- und Bewegungsprogramme bis hin zu reflektorisch bedingter Kraftlosigkeit 1956 hat Dr. Brügger ein einfaches, aber überzeugendes Experiment gemacht. Eine 31jährige Patientin litt seit einigen Jahren an Schmerzen in der Lendengegend, die sich vor allem nach län-
gerem Stehen einstellten. Ein Druck im Bereich des rechten Wirbelbogengelenkes L5/S1 wurde als schmerzhaft empfunden. Der Druck im Bereich des Beckenkamms war nicht dolent. Wurde aber gleichzeitig
auf das Wirbelbogengelenk L5/S1 gedrückt, dann wurde auch die Muskulatur des Beckenkamms druckschmerzhaft. 1960 eröffnete Dr. Brügger als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie eine Praxis in Zürich und parallel dazu ein Forschungsinstitut zur interdisziplinären Erforschung der Kybernetik des menschlichen Körpers. Seit 1965 beschäftigte sich Dr. Brügger verstärkt mit der Erarbeitung und Konstruktion der aufrechten Körperhaltung aus funktioneller Sicht, mit dem Ziel die Strukturen des Bewe- gungssystems physiologisch zu belasten. Ein Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn war 1977 die Veröffentlichung seines Hauptwerkes "Erkrankungen des Bewegungsapparates und seines Nervensystems" (1977; 1986 Neudruck des Handbuches; Gustav Fischer Verlag Stuttgart), das den Reichtum seines klinischen Wissens und seiner Erfahrungen widerspiegelt und zum ersten Mal eine Gesamt- darstellung dessen brachte, was heute unter dem Begriff Funktionskrankheiten des Bewe- gungsapparates zusammengefasst wird. 1982 eröffnete Dr. Brügger in Zürich ein Forschungs- und Schulungszentrum für Ärzte und Physiotherapeuten (Dr. Brügger Institut). Es diente zur Vertiefung und Weiterentwicklung In Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten und Patienten kam 1987 das Buch "Gesunde Körperhaltung im Alltag" als wichtige Patientenliteratur heraus. 1985 gründetet Dr. med. Alois Brügger und Dr. med. Eberhard Just (Murnau) den Internatio- nalen Arbeitskreis für die Erforschung der Funktionskrankheiten des Bewegungssystems I.A.F.K. Ziel des I.A.F.K. ist die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der prakti- schen Umsetzung des Konzepts der Funktionskrankheiten des Bewegungsapparates. 1992 führte Dr. Brügger Untersuchungen im Bereich der HWS in Zusammenarbeit mit einem Manualtherapeuten durch und definierte darauf fundierend die Daumen-Atlas-Schlinge. Anlässlich des Jubiläums "40 Jahre Erforschung der Funktionskrankheiten des Bewegungs- apparates und seines Nervensystems" und des 75. Geburtstages von Dr. Brügger fand 1995 das Brügger-Symposium in Zürich statt. Im Jahr 2000 wurde sein 2. Hauptwerk "Lehrbuch der funktionellen Störungen des Bewe- gungssystems" veröffentlicht. Somit erfüllte sich sein langersehnter Wunsch, sein 1. Haupt- werk mit den neuen Erkenntnissen zu vertiefen und zu aktualisieren und als Gesamtwerk darzustellen. Dr. Brügger verstarb am 28.10.2001 mit 81 Jahren in Zürich. Er hinterlässt ein umfangreiches wissenschaftliches Werk und Konzept der Funktionskrankheiten des Bewegungssystem, welches für die Medizin eine fundamentale Erweiterung der Diagnostik und Therapie bedeutet.
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Thomas M. Krämer
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